Freitag, 8. Januar 2010

Read.Me 08.01.2010

Ich hab ja gesagt, daß ich noch meine Lesezeichen der letzten 10 Wochen aufarbeiten muß. Das würde ich dann heute auch mal machen.

Spiegel-Online kooperiert mit Wikipedia. Unter anderem verlinken die auf eine Erläuterung der Bundesregierung. (Falls das jemand für seine Hausaufgaben braucht.^^) Da lernen wir dann z.B. etwas über die Vertretungsreihenfolge der Bundeskanzlerschaft. Also wenn Frau Merkel krank wird, und der Westerwelle auch (also im medizinischen Sinne), und dann der de Maizière und dann noch fast alle anderen Minister auch noch aussteigen, erst dann, auf Platz 15, ist Kristina Köhler dran. Es gibt eben auch noch gute Nachrichten. - Das ist übrigens die, zu deren Doktorarbeit der DLF zu folgendem Fazit kommt: "Wer sich bis zum Ende durchgekämpft hat, der begreift, dass die ganzen 303 Seiten der Dissertation von Frau Dr. Köhler eigentlich nichts weiter sind als eine Aufforderung an die CDU, ihre neoliberale Programmatik von 2005 zu reanimieren. Der Firnis der Wissenschaft kann diese Botschaft kaum überdecken." - In der Audiofassung folgte, glaube ich mich zu erinnern, noch der sinngemäße Hinweis, sich den Kauf dieses Buches zu schenken. Tja, würde ich mal sagen: Treffer und versenkt!

Geniales Interview mit Paul Oesterreicher in der Berliner Zeitung. Titel: Im Schützengraben raucht man nicht. Da geht es um den Mauerbau und ein paar Sichtweisen, die man sonst nicht so hört. Zitat: "Wir Westmächte sind über den Mauerbau eigentlich erleichtert. Für absehbare Zukunft ist Westberlin gesichert. Der destabilisierende Flüchtlingsstrom war einfach nicht mehr tragbar. Ein ökonomischer Zusammenbruch Ostdeutschlands hätte eine unkalkulierbare sowjetische Reaktion ausgelöst. Die Gefahr eines neuen Krieges ist nun erst einmal gebannt. Zwar hat uns der Zeitpunkt des Mauerbaus überrascht, nicht aber die Mauer an sich. Die Sowjets wussten sehr wohl, dass sie keine westlichen Gegenmaßnahmen zu befürchten hatten. Und schlussendlich hat man uns mit der Mauer auch noch eine nützliche Propagandawaffe geliefert." - Ich finde, diese Betrachtungsweise gehört für ein ordentliches Gesamtbild der Zeitgeschichte dazu.

Yes, we can! "US-Banken sabotieren Obamas Finanzreformen." Hatte jemand was anderes erwartet? Regen wir uns lieber über Bonuszahlungen auf... - Achso, falls einer kommt und sagt, uns beträfe das nicht: "Bankenpräsident kritisiert Wall-Street-Connection der Regierung". Wohlgemerkt der deutschen Bundesregierung.

Fürs Protokoll das Urteil des BVerfG zu den Wahlcomputern: "Die Verordnung über den Einsatz von Wahlgeräten bei Wahlen zum Deutschen Bundestag und der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland ... ist mit Artikel 38 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als sie keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl entsprechende Kontrolle sicherstellt. ... Die Verwendung der elektronischen Wahlgeräte der N.V. Nederlandsche Apparatenfabriek (Nedap) ... bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag war mit Artikel 38 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes nicht vereinbar." *freu, hüpf* - Achja, und der CCC hat den Wahlstift in Hamburg versenkt. Um die beiden Dinge zusammenzufassen: Das Problem besteht darin, daß man die Wahlzettel hinterher nachzählen und den Wählerwillen damit nachvollziehen kann. Bei der Elektronik kann man nur deren Zählung nachvollziehen. Ob die den Wählerwillen korrekt er- bzw. übermittelt hat (Manipulation, technischer Defekt, Handhabungsprobleme durch den Wähler: alles in der Praxis bereits vorgekommen), ist nicht mehr nachvollziehbar. Das ist der Punkt.

Für alle Freunde des Debitismus bei miprox das 1x1 der Wirtschaft. Geschrieben von Paul C. Martin, dem Vater der Debistismustheorie. In den Sammlungen des DGF gibt es sein Standardwerk als PDF-Datei herunterzuladen: "Der Kapitalismus - ein System, das funktioniert" (Direktlink) sowie bei miprox die Kurzfassung von: "Macht, der Staat und die Institution des Eigentums". - Ach ja, und nicht gleich ob des neoliberal anmutenden Titels meckern. Lesen! - Achso, und miprox ist in seinem Sammeleifer sowieso eine Fundgrube. Hier ein Artikel zu Joseph Stiglitz und der Funktionsweise der Weltbank- & IWF-Hilfsprogramme. Kurzer Auszug: "Stiglitz' größte Sorge besteht darin, dass die Pläne der Weltbank, die im Geheimen ausgearbeitet werden und von einer absolutistischen Ideologie getrieben sind, niemals offen für Diskurse und abweichende Meinungen sind. Während der Westen in der ganzen sich entwickelnden Welt auf Wahlen drängt, wird durch die so genannten "Armutsreduzierungsprogramme" die "Demokratie ausgehöhlt". Und sie funktionieren nicht einmal. Die Produktivität in Schwarzafrika ist unter der leitenden Hand der strukturellen "Hilfe" des IWF zur Hölle gefahren. Gibt es denn auch Länder, die diesem Schicksal entgangen sind? Ja, sagte Stiglitz, und verwies auf Botsuana. Worin der Trick bestand? "Der IWF musste seine Koffer packen." - Ist nicht viel Text. Aber einmal mehr wird klar, weshalb viele Länder der dritten Welt auf westliche Hilfe skeptisch reagieren. - Etwas durcheinander dieser Beitrag, aber ackert Euch da mal durch.

Bei Netzpolitik finden wir: "Eine offene Deklaration für öffentliche Verwaltungen in Europa." Das sind drei universelle Punkte: Transparenz, Partizipation und Selbsverantwortung. Transparenz ist dabei der überragende Punkt. Transparenz unterbindet vollautomatisch Korruption, eliminiert den Schmiergeldanteil in den Preisen und ist Voraussetzung für Partizipation. Für mich bedeutet Transparenz, daß es bei Regierung und Behörden keine vertraulichen Unterlagen geben kann. Mir fällt nicht ein Grund ein. Nicht einer!

In der FTD ein Beitrag des letzten Vizepräsident der Staatsbank der DDR: Kohls großer Fehler. Da wird mal erklärt, woher die Altschulden der DDR-Betriebe kamen: "Ein weiterer wesentlicher Faktor war die Höhe der Kreditverschuldung der Kombinate und Betriebe, da die DDR zur Gewährleistung eines ausgeglichenen Staatshaushalts über die Nettogewinnabführungen einen immer größeren Teil des geschaffenen Neuwerts aus der Wirtschaft abzog. Die Finanzierung der Investitionen erfolgte damit immer stärker durch Kredite. Da diese auch nur 1:2 abgewertet wurden, begann der Start in die Marktwirtschaft mit hohen Schulden. Das konnten viele Betriebe nicht überleben."

So kann man Informationen auch darstellen! Das Verhältnis von Verteidungsbudgets, den Bailout-Programmen, Drogenmarkt u.a. Finanzposten zueinander findet sich hier. Wie niedlich der Marshall-Plan da ausschaut. Und der sollte den Aufbau von ganz Westeuropa anstoßen...

Hach ja, die Verbraucherschützer der EU haben gründlich zugeschlagen: "Die von der EU verordnete Änderung des Verpackungsrechts wird breitflächig für versteckte Preiserhöhungen genutzt." (Telepolis)

Gerhard Bosch im Interview zum den populären Irrtum, unsere Sozialabgaben wären zu hoch. Fazit: "Mehr Netto vom Brutto ist ein leeres Versprechen und voller versteckter oder in die Zukunft verlagerter Kosten vor allem für die unteren und mittleren Einkommen. Wer über diese Kosten nicht genau Buch führt, glaubt vielleicht mehr netto zu haben. Dabei ist es nur eine Netto-Illusion. Mit Illusionen kann man aber trefflich Politik machen."

Für's Protokoll: beim Spiegelfechter nimmt ein Kommentator die neue Kraft in der Opposition auseinander: "Frank Walter Steinmeier trat im Wahlkampf als Verteidiger der Verkäuferin “Emily” auf, die wegen 1,30 gefeuert wurde. Schön, aber die SPD-Bundestagsfraktion hat 1988 eine Mitarbeiterin fristlos entlassen, die private Post in der Fraktion freigestempelt hatte. ... Das mag Steinmeier nicht mitbekommen haben, nehmen wir ein anderes Argument. Von Kurnaz wollte er nichts gewußt haben, bis Akten auftauchten, dann ließ er sich von Thomas Oppermann (parlamentarischer Geschäftsführer der SPD und später im Kompetenzteam) in einer Weise verteidigen, das sogar der scharfe CDU-Sicherheitspolitiker Wolfgang Bosbach staunte. Die Amis hatten Kurnaz und El Masri als unschuldig erkannt, Oppermann schürte weiter den Verdacht gegen die Entführten. ... Otto Schily, der schon mal einem Beamten Akten vor die Füße warf und wegen seines Jähzorns “Schilyescu” in Anspielung auf den rumänischen Diktator Ceaucescu genannt wurde, hat eine Redaktion ohne Rechtsgrundlage durchsuchen lassen. ... Dass Schily in der Branche noch gut verdient und die Nebeneinkünfte nicht ordnungsgemäß deklarieren will, ist für solche Leute normal. ... Franz Müntefering interpretiert August Bebel “zeitgemäß” auf seine Weise. Mehrmals verdrehte er Bebels “Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen” in eine Verteidigung des Forderns gegenüber ALG2-EmpfängerInnen. Zum Vergleich Bebel in “Die Frau und der Sozialismus”:Die alberne Behauptung, die Sozialisten wollten die Arbeit abschaffen, ist ein Widersinn sondergleichen. Nichtarbeiter, Faulenzer gibt es nur in der bürgerlichen Welt. Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber die Arbeit soll auch nützliche, produktive Tätigkeit sein. … Ohne Arbeit kein Genuß, keine Arbeit ohne Genuß.” ... Wolfgang Tiefensee schaute jahrelang dem Treiben Mehdorns zu, befürwortete gegen alle guten Argumente und schlechte Erfahrungen die Bahnprivatisierung und ließ dann nicht mal rechtzeitig wie vereinbart den Gesetzentwurf von 49% auf 25% ändern, was erst am Tag vor der Abstimmung ein Abgeordneter bemerkte. Von den Bonusvereinbarungen, die sein Staatssekretär abgesegnet hatte, wollte er nichts gewußt haben. ... Übrigens, was ist in dem Zusammenhang aus dem Mautdesaster geworden?..." - Schöner Rant. Der dekliniert die halbe SPD-Führung durch. Lesenswert. Und solange die sich von dieser Vergangenheit nicht mal distanzieren, wird nennenswerte Erholung für die SPD nicht in Sicht sein. Wer braucht schon eine zweite CDU?

Wieso er hier immer noch im Amt ist und für welche Leistungen, weiß nur sein Arbeitgeber. Erinnert sich jemand noch an das Interview in der FTD? Zitat: "Die Hartz-IV-Sätze könnten freilich regionalisiert und an das Preisniveau vor Ort angepasst werden." - Wer soll das denn bitteschön ausrechnen, zumal das BGH die Sätze für Kinder als verfassungswiedrig gebrandmarkt hat und anscheinend keine anwendbare Berechnungsgrundlage besteht (die Hälfte aller Klagen gegen Hartz-IV-Berechnungen haben Erfolg)? Und wer verhindert dann eine Hartz-IV-ler-Reisewelle? Sogar das IWH spricht sich gegen Captain Ahab aus.

Und weil wir die FTD gerade beim Wickel haben, die sind informativer als die normale tagespolitische Presse: "Der dramatische Anstieg der deutschen Exportüberschüsse von 2001 bis 2008 hat stark zu jenen globalen Ungleichgewichten in Handel und Kapitalverkehr beigetragen, die zu den tieferen Ursachen der Weltwirtschaftskrise gehören." - So, wieder was besprochen. Bevor Merkel und die anderen Schröderianer wieder ihre Hände in Unschuld waschen. - Na klar ist das alles eine Soße. Von Kohl bis heute!

Achso, und weil wir die FTD immer noch beim Wickel haben: "Jörg Bibow - Sparen heißt Schmarotzen". Da heißt es: "Das Grundmuster der deutschen Makropolitik ist klar erkennbar: sinnloses Drosseln der heimischen Nachfrage durch Sparmaßnahmen, kombiniert mit der Hoffnung, bei den Exporten schmarotzen zu können. .... Offensichtlich war die derzeitige Krise noch nicht schlimm genug, damit Deutschland das Modell des exportorientierten Wachstums einer gründlichen Korrektur unterzieht. Das tatsächliche Problem ist, dass das Land zu einer Politik neigt, die Importe drosselt." - Und da unsere Politik schon wieder von Export, Export, Export faselt, hat sie nichts begriffen oder will es nicht begreifen. Aus diesem Blickwinkel heraus wünsche ich mir, daß die Krise mal einen Zahn zulegt um endlich Druck aufzubauen. (Ich weiß, ich bin mitunter etwas FTD-lastig. Aber kann ich was dafür, daß die mit ihrer Wirtschaftslogik einen unverstellteren Blick auf die Dinge haben, als die anderen Schreibtischtäter?)

Wenn mal jemand wissen möchte, wie pervers unser Gesundheitssystem ist, Gaby vom DGF weiss es. Da gibt es nämlich sowas wie Zuweisungsmarketing. Und was gehört dazu?
  • Regionen mit Fallpotenzial ermitteln
  • Zuweiserakquisition optimieren
  • Geografische Informationssysteme erfolgreich einsetzen
  • Nichteinweiser für sich gewinnen (WTF???)
  • Anforderungen an die Arzt-Arzt-Kommunikation erkennen
  • Strategien jenseits kostenintensiver Werbung entwickeln
  • Zuweisermarketing gezielt anwenden
  • Praxiserprobte Werkzeuge einsetzen
  • Zuweiserbedürfnisse erkennen
  • Kommunikation zwischen Klinik und Zuweiser verbessern
  • Serviceleistungen für Zuweiser integrieren
Im Klartext: Wie bekommen Krankenhäuser Patienten kostentreibend in die stationäre Behandlung, obwohl die gar nicht eingewiesen werden müßten? Und behandelt wird da, wo der Arzt dem besten Zuweisungsstrukkie erlegen ist. - Solche Seminare konterkarieren den Grundgedanken jeder Gesundheitsreform!

Bei WeissGarNix wird mal anhand eines Minsky-Zitates klargestellt, wann investiert wird: "Reale Investitionen, die Kreditfinanzierung bedürfen, finden nur dann statt wenn:
  • Die Nachfragepreise der Investitionsgüter über ihren Angebotspreisen liegen (sprich: Investitionsprojekte auf Basis aktueller Angebotspreise Renditen versprechen) und
  • Die Nachfragepreise der Investitionsgüter über denen der Finanztitel liegen (sprich: Investitionsprojekte mehr Rendite versprechen als Finanzanlagen)."
Damit hätte sich dann aus berufenem Munde das Gesülze von Steuersenkungen, Kündigungsschutzlockerung etc. erledigt. Zu gut deutsch: das Auftragsbuch muß planbar voll sein und die Spekulationsgewinne nicht mehr der Rede wert. Das bedeutet u.a.: solange das Casino in dieser Form weiter läuft, kann die Bundesregierung ewig auf ein nennenswertes Anrucken der Konjunktur warten.

Telepolis zum Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg. Detail am Rande: verwandt mit Ribbentrops, was für mich keinerlei Gesinnungsverwandtschaft bedeutet, aber ein Indiz dafür ist, daß man halt in Eliten schon hineingeboren werden muß, damit ein gewisser Selbstlauf in der Karriere stattfinden kann. Mir ist der letzte Satz im Artikel wichtig: "Guttenberg ... seine Familie verkaufte ihre Anteile 2002 an die HypoVereinsbank. Wo genau sie derzeit ihr vom Spiegel auf 600 Millionen Euro geschätztes Vermögen investiert hat, ist nicht ganz klar." - Also mir wäre das schon wichtig. Kann mir einer mal erklären, wie ich da als Bürger Interessenkonflikte im Amt ausschließen kann? Seit Kohl wissen wir doch, was Ehrenerklärungen wert wären...

Zum Schluß wieder etwas Musik. Heute der singende Baggerfahrer (er ist wirklich nach dem Konzern zur Schicht gedüst im Braunkohlerevier), leider viel zu früh verstorben. Mehr zu Gerhard Gundermann findet sich hier bei Ostmusik. Schöne Textzeile mittendrin: "wenn ichn räuber wär da knallte ich mitm schießgewehr mal hin und her schon wär der königsessel leer".^^