Freitag, 7. Januar 2011

07.01.2011

Gefunden bei Chat Atkins, der mit der Sargnagelschmiede: einen Link zu einer PDF-Datei der Frankfurter Rundschau. Dort wird in einer Studie auf 69 Seiten (für Eilige: ab Seite 12 wird es interessant) das Buch vom Sarrazin zerlegt. Es heißt ja stets, in der Sache hätte der Mann ja Recht und den Fakten könne nicht wiedersprochen werden. Kann man wohl aber doch. Weder sind die konstatierte Bildungsmisere bei den Muslimen, noch die Mangelhaftigkeit der Sprachkenntnisse oder die Verweigerung des Schwimmunterrichts oder der Zusammenhang zwischen Islam und Kriminalität im suggerierten Umfang haltbar. - Polemikmodus: Falls der Hartz-IV-Speiseplanaufsteller Parallelgesellschaften sucht, kann er ja mal die Privatschulen und Schweizer Internate analysieren.

Der Hype um die Datensicherheit mag ja einigen überzogen erscheinen. Ich meine damit vor allem, dass man selbst noch wissen kann, wer von einem welche Daten hat und was damit anfangen kann. Das die eigene Gemeinde mit den Adressdaten schwunghaften Handel betreibt und diesen Posten sogar fest im Haushalt einkalkuliert hat, ist sicherlich bekannt, sonst einfach mal hier klicken. Womit man aktiv gar nichts zu tun hat, sind Scoring Agenturen, welche als Dienstleister einen Wert ermitteln, mit Hilfe dessen bspw. die Kreditwürdigkeit deklariert wird. Den Blogger von Mindsdelight hat es erwischt. Schöner Rant, wie man keinen Handy-Vertrag bekommt. Nur mal so: das Problem ist der Bundesregierung bekannt. Auch der Stern hat etwas dazu. Und über eine Studie der Verbraucherzentralen erfährt man hier mehr. Hilfen sind im Netz zahlreich vorhanden, wie bspw. hier und hier.

Bevor das alte Jahr zu Ende ging, gab es auch eine positive Nachricht: "Die Polizei verzeichnete 2010 im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Rückgang im Bereich der politisch motivierten Straftaten." (Quelle) Das gleiche gilt übrigens für die Gewalt gegen die Polizei. (Quelle) - Macht sich gut, wenn man wieder mal am medialen Stammtisch unterwegs ist und die üblichen Alarmhupen mit Gesetzesverschärfungen für die Rettung der Republik trommeln. Wie sieht es eigentlich im gegenteiligen Fall aus? Den gibt es nicht? Aber, aber: "Duisburger Polizisten fallen als mutmaßliche Hooligans auf." (WDR)

Auch die Süddeutsche rennt mit dem Salzstreuer in Richtung offener Wunden der FDP: "Wer weniger verdient, muß besonders bluten." Das ist sicherlich ein bedauerliches Mißverständnis und keine Klientelpolitik. ;)

Klerikale Kreativität: Wie die Kirche ausgetretene Mitglieder wieder zur Zahlung der Kirchensteuer nötigt und dabei die Beweislast beim Ex-Mitglied liegt. (Quelle)

Die Zukunft des Euro als Präsentation der Schweizer UBS-Bank (Link). Das Fazit in meinen Worten: Da die Vereinheitlichung der Steuerpolitik auf längere Zeit politisch nicht durchsetzbar ist, werden wir die damit verbundenen Probleme noch schön lange behalten. Wir werden also eine 2-Klassen-Mitgliedschaft pflegen mit BeNeLux/Deutschland/Finnland/Österreich auf der einen Seite und dem Rest auf der anderen. Und täglich wird das Murmeltier in Sachen "Transferunion" grüßen. Völlig egal ob berechtigt oder in populistisch-medialer Ausschlachtung.

"Das Bundesverfassungsgericht hat die Durchsuchung eines Rundfunksenders und die Sicherstellung von Redaktionsunterlagen für verfassungswidrig erklärt." (Tagesschau) - So schön wie das ist, aber das kommt ja nicht zum ersten Mal vor, dass das BVerfG Entscheidungen dieser Art wieder einsammelt. Wieso gibt es zum Inhalt der Verfassung so unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten? Die Durchsuchung von Redaktionsräumen zum Zwecke der Informantenermittlung oder des Schutzes von Dienstgeheimnissen ist doch allerspätestens seit dem Cicero-Urteil ein Geht-ja-mal-gar-nicht!

Beim "Nachgoogeln" für die nächste Anmerkung ist mir nochmal die Andruck-Sendung vom 14.12.2009 in die Händ gefallen. Köstliche Rezension der Doktorarbeit der Kristina Ex-Köhler Nunmehr-Schröder: Gerechtigkeit als Gleichheit. Wer das Hörvergnügen nocheinmal nacherleben möchte, klickt den Link. Ansonsten meine Lieblingssätze aus dem Totalverriss: " Man sollte es [das Buch - MNB] stattdessen einfach dem Schicksal überlassen, das ungefähr 90 Prozent aller Dissertationen ereilt - dem unbeachteten Verstauben in der Universitätsbibliothek und dem gelegentlichen Abgestaubtwerden im Bücherregal der stolzen Eltern der Verfasser. Denn Kristina Köhler hat ... eine mustergültige Typ-II-Arbeit vorgelegt, also ein Werk, das weniger vom Interesse an der wissenschaftlichen Arbeit, sondern mehr von dem Wunsch nach einem akademischen Titel geprägt ist." - Nur mal so als ein Dauerhinweis, warum sich eine Reihe von Doktortiteln in den Parlamanten finden. Das klingt einfach schöner und kein potenzieller Wähler fragt, worüber der Titelträger dissertiert hat bzw. ob ihm dieses Wissen bei der Abgeordnetentätigkeit überhaupt nützt.

Bei Carta ein Beitrag des Politikwissenschaftlers Karl Korte (einer der Dauerinterviewten) über die Zeitkrise im Superwahljahr 2011. Sein Urteil über das "Regieren im Minutentakt" mag ich nicht in voller Länge nachvollziehen. Dafür gibt es ja den Regierungsapparat. Aber das präsidiale Schweben über den Problemen ist mir dann doch wieder vertraut. Von seinem Vorschlag der Bürgerkammer halte ich jedoch GAR NICHTS! Ich zitiere mal:
"Mit einer Bürger-Kammer, die sich repräsentativ zusammensetzt, könnte eine Gesellschaftsberatung der Parlamente durch eigene Expertisen und Voten angereichert werden, die als Ergänzung zum Beratungsprozess in Parlamenten nutzbar ist. Außerparlamentarische und parlamentarische Verfahren wären so zu kombinieren, dass die repräsentative Demokratie neue Akzeptanzbeschaffer erhält. Die Demokratie würde nochmals komplexer und weniger effizient. Doch mit einer intelligenten Verzahnung der drei Bereiche von Willens- und Entscheidungsbildung könnte neue Legitimation entstehen."
Wir haben jetzt schon das Problem, das unsere Parlamente EBEN NICHT repräsentativ besetzt sind. Einige Stichworte: Vorauswahl der Kandidaten durch die Parteien, keine Parteienfinanzierung auf kommunaler Ebene (was die Bürgerinitiativen aussticht), kein Abwählen möglich auf dem Wahlzettel. Warum das bei der Bürger-Kammer anders sein soll, erschließt sich mir nicht. Also wer da wieder Zeit und Geld hat, gewisse Expertisen an den Mann zu bringen, da brauche ich nicht viel Phantasie. Ebenso war bei den öffentlichen Anhörungen im Bundestag zum Thema Vorratsdatenspeicherung/Netzneutralität sehr schön zu erleben, wie mit dem Bürger diskutiert wurde, um de facto Nullkommagarnichts in die Entscheidung einfließen zu lassen. Aber er läßt auch die Katze ehrlicherweise aus dem Sack: es geht um Akzeptanzbeschaffung. Und dafür ist mir diese Bürger-Kammer zu schade.
Polemische Gegenvorschläge: keine nichtöffentlichen Anhörungen mehr und statt dem unsäglichen ARD -Börsenbericht 5 vor 8 lieber eine Demokratie-Vorschau, welche Parlamentsentscheidungen anstehen und wann wo welche Anhörung stattfindet und wie man dort hin und hinein kommt. Ernsthafter: vor allem brauchen wir ausgestaltete konsultative Referenden. Die Vorteile liegen mMn klar auf der Hand. Mit dem Ansetzen eines solchen beratenden Referendums wird ein Verfahren in Gang gesetzt, bei dem sich alle gesellschaftlichen Gruppen klar positionieren können (müssen). Das Votum ist nicht bindend, die Abgeordneten können also weiterhin frei ihrem Gewissen oder ihrer Parteilinie folgen. Der Abgeordnete kann sich aber nicht mehr auf seine Volksvertretung herausreden, wenn sein Abstimmverhalten sich deutlich vom Referendumsergebnis unterscheidet. Ich halte das für einen sehr demokratiehygienischen Wert (vor allem in Richtung Aktzeptanz der Abgeordneten), wenn der Bürger um seine Meinung explizit gebeten wird, seine Stimme in den Medien als Referendumsergebnis deutlich dargestellt und kommentiert wird (statt in stets hinterfragbaren Umfragen) und die Übereinstimmung oder Unterschiedlichkeit mit der Abstimmung im Parlament verglichen werden kann. Vor allem in nachgelagerten Gesprächen im Bürgerbüro des Abgeordneten. ;)