Samstag, 15. Januar 2011

15.01.2011

Disclaimer, der Erinnerung halber: Das ist ein Meinungsblog. Und noch eins vorweg: ich lese keine Tageszeitung und auch die Online-Ableger schaue ich mir ohne Verweis durch irgendeinen Blog recht selten an. Bei mir läuft dafür fast rund um die Uhr der Deutschlandfunk. Qualitativ sollte ich da beim Informationskonsum nicht mehr zu toppen sein, das eine oder andere Highlight in den MSM oder der Blogosphere mal ausgenommen. Wer mir im DLF aber derzeit mächtig auf den Zünder geht, ist Frau Sabine Adler (Abgesehen vom "NATO-Clemens". Die Beiden hab ich momentan gefressen.). Aus dem Bauch heraus und unbelegt würde ich sie irgendwo bei den rechten Seeheimern der SPD einordnen. Mit Genuß hackt sie auf den Linken herum (Das haben die im Überschwang verdient. Aber nicht so substanzlos.), scheint die Bundesrepublik Deutschland für den Hort der Demokratie und zur Volkswirtschaftslehre eine gewisse Distanz zu halten. Leider ist ihr Beitrag heute Mittag nicht als Transkript verfügbar. Thema war Weißrußland und wie Lukaschenko nach gelaufener Wahlsimulation dort wieder andere Seiten mit der Opposition aufzieht. Unter anderem nimmt sie Bezug auf eine Artikelserie in der Regierungspresse, in welcher es wohl u.a. um die Zusammenarbeit des Westens (Diplomaten, Geheimdienste) mit der Opposition zum Sturz des Regimes geht. Was mich stört ist, dass meinem Trommelfell nach Frau Adler mit keiner Silbe darauf eingeht und davon nur im Nebensatz im Unterton des "die-spinnen-ja" berichtet. Frau Adler und allen, die eine aktive Einflußnahme Mitteleuropas (also nicht die üblichen Verdächtigen) auf Regierungswechsel in Osteuropa für eher unwahrscheinlich halten, sei eine Arte-Dokumentation empfohlen: Schachmatt - Strategie einer Revolution. Dort berichten u.a. rumänische und französische (!) Geheimdienstler, wie z.B. durch bewußte Desinformation der Öffentlichkeit jene Situation herbeigeführt wurde, welche zum Sturz von Ceausescu als eine der Voraussetzungen für eine deutsche Wiedervereingung führte. Als Ergebnis gemeinsamer Überlegungen von Bush sr., Kohl und Gorbatschow. Wetten, den Beitrag hat Lukaschenko auch gesehen? Ein Lehrstück! - Falls nicht: erst die kurze (Ausschnitt), dann die ausführliche Version.

Wie inszeniert man eine Revolution? (9:56)



Schachmatt - Strategie einer Revolution (1:00:16)



Das gilt natürlich äquivalent auch für den Sturz des tunesischen Präsidenten. Ein Präsident wird nicht durch einen Streik oder eine Massendemonstration gestürzt. Sondern dadurch, dass ihm seine Regierung, seine Armee, seine Polizei, seine Geheimdienste die Gefolgschaft verweigern. Und der Anlaß ist dann die tobende Menge auf dem Platz. Honecker wurde dadurch gestürzt, dass unter Führung von Egon Krenz das Politbüro ihm die Gefolgschaft verweigerte (Beispiel-Quelle). Ja sicher, in der Hoffnung, damit den eigenen Mors zu retten.

Wenn wir schon bei sich auflösenden Staaten oder zumindest Regierungen sind, dann passt das hier wie die Faust aufs Auge: Belgien. In der FAZ wird zitiert: "Lassen wir dieses Belgien geruhsam verdunsten." - Einen erhellenden Beitrag macht German Foreign Policy daraus und berichtet: "Im Dezember 2010 wurden erste Berichte über Verhandlungen bekannt, bei denen Konzepte zur Aufspaltung Belgiens zur Sprache kamen. Demnach solle Flandern einen eigenen "Staat" gründen; die Wallonie hingegen werde gemeinsam mit Brüssel dem Nachbarland Frankreich zugeschlagen." - Seit Jugoslawien wissen wir schließlich, dass die Nachkriegsgrenzen für die Regionalmächte Deutschland und Frankreich eher Vorschlagscharakter besitzen.

Einschub: Auf die Frage, ob Menschenrechte oder Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen wichtiger sind, antworten die meisten Menschen selbstverständlich: die Menschenrechte. Und wenn man fragt, was für Staaten wie Rußland das Wichtigste ist, dann hört man: Demokratie. Mit "man" meine ich dabei persönliche und Forendiskussionen. Mit Verlaub: Menschenrechte und Demokratie halte ich auch für wichtige Ziele, aber als nächste Schritte für nebulösen Quatsch. Wir brauchen Rechtsstaatlichkeit und Souveränität. Das will ich gern kurz erläutern:
1. Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet: gleiches Recht für alle, Unabhängigkeit der Gerichte. Also das, was die Augenbinde der Justitia verdeutlichen soll: ohne Ansehen der Person. Indem jedermann sein Recht einklagen kann, erfahren die Verhältnisse automatisch eine Glättung. Selbst in Diktaturen sind Mord und Totschlag per Gesetz verboten. Mit einem unverfänglicheren Drängen auf überprüfbare Rechtsstaatlichkeit, welche auch durch Machthaber schwerlich offen ablehnbar ist, ist Russen und Chinesen viel mehr geholfen, als mit imaginären Menschenrechten, die sich dann aber auf dem Wege einer funktionierenden Justiz nach und nach Bahn brechen werden.
2. Souveränität. Für mich ist die Unverletzlichkeit von Landesgrenzen wichtiger als Menschenrechte und Demokratie zusammen. Unter dem Vorwand dieser beiden Dinge sind in Jugoslawien, Irak, Afghanistan und anderswo hunderttausende Menschen verreckt und Millionen aus ihrer Existenz vertrieben worden. Bei einer Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen undenkbar. Saddam Hussein oder Slobodan Milošević sind, leider (!), Waisenknaben gegen die USA und ihre jeweiligen Verbündeten. Nicht diese Aussage ist aber entsetzlich, sondern die Chuzpe der westlichen Welt, im Namen von Menschenrechten und Demokratie hunderttausenden Müttern ihre toten Söhne (Geburt, durchwachte Nächte, Arztbesuche, der erste Zahn, der erste Schritt, der erste Schultag, die erste Freundin...) zu Kollateralschäden zu erklären. Das ist der Punkt: staatliche Souveränität läßt den Krieg als Mittel der Politik faktisch nicht mehr zu. Bei welchem kriegserklärenden Staat ging es denn bisher um Demokratie und Menschenrechte bei gleichzeitiger Nichtverfolgung wirtschaftlicher oder (geo)politischer Machtinteressen?

Via Netzpolitik zum Thema: Die CSU will die Vorreiterrolle in der Netzpolitik übernehmen. Sicherlich mit solchen Internetausdruckern wie Hans-Peter Uhl, für den der CCC eine Ansammlung von Pseude-Computerexperten ist und Chinas Internetzensur ein nachahmenswertes Beispiel. Karpfenpeter hat das mit einer Grafik wunderbar auf den Punkt gebracht. Chapeau!

Ein bissken Medienbashing habe ich noch. Schönes Beispiel für tendenziöse, heiße Luft ist das Leitmedium Spiegel. Was soll eine Schlagzeile "Dagegen-Partei schaltet auf Dafür-Offensive" anderes sein als ein Aufspringen auf die CDU-Wahlkampflokomotive? Dabei waren die Ökoliberalisten doch immer hübsch für den völkerrechtswiedrigen Krieg in Jugoslawien, für Hartz-IV, für den Afghanistan-Einsatz, sind für den JMStV, betrachten Wikileaks als demokratieproblematisch (via) etc. Aber halbrechts ist wahrscheinlich noch nicht rechts genug. Deren Wähler werden sich nach der nächsten Wahl so fühlen, wie die FDP-Wähler nach der letzten. ;)

Ich bin mit dem Spiegel aber noch nicht fertig: "Großungarn-Teppich provoziert Brüssel". Jetzt könnte man denken, die Ungarn würden nach dem Mediengesetz den nächsten Scheinskandal vom Zaun brechen. Übrigens schön, dass der Spiegel noch nicht einmal ein deutliches Foto des fraglichen Teppich zum Beitrag mit einstellt, aber weiter unten im Text kommt dann die schriftliche Auflösung: "Der Teppich sei einfach eine 'Zeitreihe von kulturellen, historischen und wissenschaftlichen Symbolen und Bildern Ungarns...'" - Und wo war jetzt das Problem???

Zum Schluss noch einer Reinhör-Tipp wie "immer". Entspanntes Wochenende!