Dienstag, 1. Februar 2011

01.02.2011

Der Spiegel meldet:
US-Terrorfahnder haben tiefere Einblicke in die Finanzen Tausender Europäer als bislang bekannt. Der Swift-Vertrag erlaubt laut "Financial Times Deutschland" auch den Zugriff auf Bank-Überweisungen innerhalb Europas. Grund ist die schleppende Umstellung auf das neue Zahlungssystem Sepa.
Nein so etwas! Das kommt ja völlig unerwartet. Da hätte doch mal jemand warnen können. Und das sind wirklich alles Terrorfahnder? Wirtschaftsspionage ausgeschlossen? Und welche Datenschutzvereinbarung haben wir für die Betroffenen, damit die sich dagegen verwahren können? So um die Null herum? Und dann lässt sich de Maiziere noch beim Schwindeln erwischen:
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte bislang behauptet, innereuropäische Überweisungen würden vom Swift-Vertrag generell nicht erfasst. Tatsächlich schützt das Abkommen laut Zeitungsbericht aber nur Daten, die über den einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraum (Sepa) laufen. Sepa wurde 2008 eingeführt, die komplette Umstellung soll bis 2013 erfolgen.
Einmal mit Profis arbeiten! Mit Dank an das EU-Parlament fürs Ausgraben! Nicht etwa an unsere Verbraucherschutzministerin, sondern der unabhängige Martin Ehrenhauser aus Österreich war's. Auch noch fraktionsfrei.

Update. Fefe pointiert dazu: "Daher ist das für mich ein Fall von Vorsatz und Bösartigkeit, nicht von Inkompetenz und Verkacken." - Aso, erwartet da jetzt irgendjemand Konsequenzen? Eher nicht, oder?

Fefe weisst auf Burying hin. Also wenn die Regierung im Maschinenraum verschwindet, während die Presse durch irgendwelche Großereignisse abgelenkt ist. Allerdings glaube ich das bei der aktuellen Ägypten-Lage weniger. Das kam zu überraschend, um Gesetzesvorhaben dieser Tage in der Beschlußreife zu haben. Fußballweltmeisterschaften etc. sind dagegen Jahre im voraus planbar.

Die FAZ beim EU-Bashing:
Früher setzte die EU darauf, dass ein Unternehmen besser als ein Bürokrat beurteilen kann, ob etwa eine Investition in neue Anlagen oder der Kauf von Emissionsrechten der bessere Weg ist, um die Energie- und Klimakosten zu senken. Doch offenbar sind freie Entscheidungen und der Markt in Brüssel immer weniger gefragt.
Da fehlt mir gleich zweimal das Verständnis. Erstens sollen mit den angesprochenen Energieeinsparungen die Pferde antideflationär zum Saufen gezwungen werden. Wenn man da so hasenfüßig-fantasielos wie die Bundesregierung ist, braucht man sich nicht zu beschweren, wenn sich jemand anderes eine Waffel macht. Zweitens ist das natürlich Realsatire. Als ob das Land der Zucker-, Energie- und anderer Monopole auf die EU warten müsste. Zumal die EU ja nur die Ziele fortsetzt, keine Preise und keine Wege dahin.

Das Handelsblatt kommt zu der Feststellung:
Zusammenschlüsse von gesetzlichen Krankenkassen sorgen nach Erkenntnissen des Bundesrechnungshofs nicht automatisch für sinkende Kosten.
Überraschung! Na da hat ja die Politik überhaupt gar keinen Einfluss darauf... ;-) Und worauf hat ein Gesundheitsminister oder eine Verbraucherschutzministerin noch keinen Einfluss? Die WELT weiss es: "Nur fünf Prozent der Medikamente für Kinder geprüft." - Schönes Beispiel dafür, wie sich die Industrie auf die breiten Konsumentenschichten, in diesem Falle die Erwachsenen, stützt. Was auch absolut in Ordnung geht. Aber genau daher gibt es den Staat: um den Interessen der Randgruppen Gewicht zu verleihen und diese auch durchzusetzen. "Um Abhilfe zu schaffen, hatte die EU bereits 2007 eine neue Arzneimittelverordnung erlassen, die Pharmakonzerne verpflichtet, jedes neue Medikament auch in Studien mit Kindern zu testen." - Na Herr Rösler, na Frau Aigner? Kein Handlungsbedarf?

Und im Regensburger Wochenblatt lesen wir:
Thorsten Kingreen, Jura-Professor an der Uni Regensburg, hat im Auftrag der ÖDP ein Gutachten mit brisantem Inhalt erarbeitet: Der der Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht hält das Elterngeld für verfassungswidrig.
Begründung: Verletzung des Neutralitätsverbotes. Bitte mal lesen, da wird schon beschrieben, wie sich die Höhe der Bezüge im Vergleich zum alten Erziehungsgeld verschoben haben. Jetzt muss damit noch jemand zum BVerG gehen, damit der Teufel EBEN NICHT immer auf den größten Haufen scheixxt. Wie erklärt sich das der den christlichen Werten verpflichteten CDU/CSU-Abgeordnete eigentlich selber?

Beim Spiegelfechter bin ich über diesen Clip von Robert Misik gestolpert. By the way: sein Büchlein "Marx für Eilige" kann ich nur weiterempfehlen. Unterhaltsame Einführung, bei der man ganz nebenher schlauer wird. Schöner Rant über die Stammtischrevoluzzer und jene, welche in den Kommentarspalten die Barrikaden stürmen und pikiert auf die Gegenfrage reagieren, ob sie das dem Parlamentarier ihres Wahlkreises auch schon erzählt haben.



Misik hat selbstverständlich recht, wenn er davon spricht, dass Maulheldentum an der politischen Gestaltung nicht teilnimmt und Politik immer die Machbarkeit des Möglichen in kleinen Schritten ist und ein "Großer Wurf" zwar schön klingt, aber im Endeffekt ein Verschieben auf den St. Nimmerleinstag bedeutet. Das geht den Schwarzen und Gelben mit ihrem Steuervereinfachungswurf ebenso. Allerdings habe ich mit den Linken mein ganz eigenes Problem: die Verweigerung der Wählbarkeit.

Für meinen Geschmack haben die Linken ein bundesweites Stammwählerpotenzial um die 5%-Hürde herum und darüber hinaus Protestwähler. Vielleicht auch ein paar strategische Wähler, welche Rot-Grün mit dem Wedeln mit der Linkspartei vom Schröder-Steinmeier-Kurs abbringen wollen. Lesenwert auch dazu der Beitrag in den "Blättern": Programmatisch festgefahren - Warum Die Linke sich ändern muss". Zitat:
Es ist die Grundannahme, die meisten Menschen würden aus sozialen Ungerechtigkeiten und ungelösten Herausforderungen schlussfolgern, dass der Kapitalismus schleunigst zu überwinden sei. ... Linke Politik müsste dasjenige anpacken, was ihr in der gesellschaftlichen Dynamik in die Hände gespielt wird. Gewiss, viel ist das gegenwärtig nicht. Sich dem zuzuwenden ist aber allemal radikaler, sozialistischer und realistischer als sich freudlos einer Mischung aus verbalradikalem Zukunftsidealismus, Erweckungshoffnung und wenig moderner Sozialreform zu verschreiben.
Soll heissen: wenn man breite Wählerschichten mitnehmen will (und nur mit diesen im Rücken kann man politisch gestaltend tätig sein), brauche ich mehr als angreifbare, weil in jede Richtung (fehl)interpretierbare, Sprüche wie "Reichtum für alle". Aaaber entgegen dem Autor in den Blättern bin ich schon der Meinung, dass die gesellschaftliche Dynamik der Linkspartei unendlich viel in die Hände spielt. Sowohl die SPD als auch die CDU und die FDP entfernen sich seit den Zeiten von Helmut Schmidt von ihren Wurzeln. Bürgerrechte, Demokratie und vor allem die soziale Marktwirtschaft sind gesellschaftlich akzeptiert und in den Standardwerken dieser Parteien verankert. Eine CDU kann sich unmöglich von Erhardt oder Müller-Armack distanzieren. Oder von der katholischen Soziallehre. Und genau deswegen sollte die Linkspartei die CDUCSUFDPSPD permanent mit ihren eigenen Grundsätzen konfrontieren. Beispiele gefällig?

Müller-Armack legt in seinem Standardwerk mehrere Dinge klar (an dieses einführende Essay komme ich natürlich nicht heran, ist auch gar nicht meine Absicht), von denen ich einige kurz anreißen möchte.

Das III. Reich war eine gelenkte sprich: Planwirtschaft. Nicht nur der real existierende Sozialismus. Die Planwirtschaft ist also keine Monopol des Sozialismus. Der Nobelpreisträger und Ultraliberale von-Hayek hat in seiner "Anmaßung des Wissens" mit dieser abgerechnet:
Die Zentralverwaltungswirtschaft sei insbesondere wegen der „Nichtzentralisierung allen relevanten Wissens“ über die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Individuen nicht durchführbar, das heißt die planende Stelle kann niemals über die Informationen verfügen, die sie für eine vernünftige Planung benötigen würde. Nur der freie Markt bilde im Preissystem alle relevanten Informationen ab und führe zu sinnvollen Allokationen. Den „Sozialingenieuren“, die eine Gesellschaft auf dem Reißbrett planen wollen, warf er die Anmaßung von Wissen (pretence of knowledge) vor. (Quelle: Wikipedia)
Die Preisbildung ist also einem Markt zu überlassen, der diesen Namen verdient. Welche Munition braucht man für eine Aufspaltung der Mineralöl- und Energiekonzerne denn noch? Das kann man mit Schwarz-Gelb an Hand ihrer eigenen Klassiker durchdiskutieren. Das bedeutet übrigens auch, dass die Riester-Rente gleich mit vom Tisch ist, für deren Renditeversprechen (=Gewinnplanung) über 30-40-50 Jahre hinweg jede Grundlage fehlt.

Müller-Armack ist der festen Überzeugung, dass der Staat nicht in die Preisbildung einzugreifen hat. Jedoch steht einem Mindestlohn nichts entgegen. Er ist eine Untergrenze im Lohngefüge wie Schadstoffgrenzen in Lebensmitteln oder eine Höchstgeschwindigkeit auf der Straße. Nicht mehr, nicht weniger. Sogar der Flächentarifvertrag ist in diesem Zusammenhang Kapitalismus pur. Kapital wird so dorthin gelenkt, wo es am produktivsten ist. Subventionen, wie bspw. geringere Mindestlöhne für eine bestimmte Branche, kaschieren deren Unproduktivität und erhalten diese unnötig am Leben.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch nicht von "gerechteren Löhnen" im Sinne einer Sozialdebatte sprechen, hinter denen Otto Normalbildzeitungsleser die Vorboten des Sozialismus wittert. Eher würde ich die Formulierung "ausgewogenere Einkommen" bevorzugen, im Sinne einer Erhaltung des Kapitalismus. Bei der fortschreitenden Entwicklung wird die Massenkaufkraft zunehmend geschwächt und die wachstumssüchtige "unsichtbare Hand" sägt am Ast, auf dem sie sitzt.

Fazit: Mit Kommunismus und Sozialismus kann mir die Linkspartei gestohlen bleiben. Aber ich halte sie für ein erfolgsversprechendes Korrektiv zur Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft. Wenn sie sich auch mal auf die "rechten" bzw. konservativen Klassiker stützt, mit denen man nicht in eine linke Spinner-Ecke gestellt werden kann. Ende der Durchsage. ;)